Von Köln in die Welt
In einem so jungen Alter wie bei keiner anderen Transsexuellen haben Ärzte bei Kim Petras das Geschlecht geändert. Wird sie jetzt der erste transsexuelle Weltstar? Ein Treffen.
Von Juliane Liebert
Kim Petras sitzt auf einem Drehteller. Sie trägt einen pinkfarbenen Lackbody und hohe pinkfarbene Stiefel. Und sie wirbelt ihren langen hellblonden Zopf um sich. Die 27-Jährige singt ihren Song „Death by Sex“. Der Text ist wie für Sigmund Freud geschrieben: „Oh, death by sex / Oh, death by sex / Yeah, sex, sex, sex / Yeah, death by, death by sex“. Der Drehteller dreht sie nach vorne. Kurz legt sie einen Knöchel über den anderen. Dann öffnet sie die Beine. Das Scheinwerferlicht leuchtet ihr dazwischen. Das Publikum ist im Glück.
Ihre Beine öffnet Petras plötzlich – aber trotzdem elegant. Mit einem kurzen Blick zum Lichttechniker ist die Bewegung genau synchronisiert. Sie ist nicht vulgär. Sie zeigt Können, Timing und, ja, Humor. Der Humor funktioniert so: „Ihr denkt, dass ihr alles von mir seht. Und genau in diesem Moment seht ihr – nichts.“
Geboren ist Petras in Köln. Jetzt ist sie in den USA ein Star. Musikalischer Mainstreamerfolg zeigt sich heute in Streams und Klicks. Davon hat sie sehr viele. Ihr Hit „Heart To Break“ hat auf Spotify mehr als 29 Millionen. Bekannt gemacht hat sie dieser Song: „I Don’t Want It At All“. Er ist bei fast 26 Millionen. Das sind sehr sichere Zahlen. Im Video zu „I Don’t Want It At All“ vom Oktober 2017 betet sie zu Paris Hilton.
Petras betet natürlich nicht nur für Hilton, sondern für einen ganzen Lebensstil. Für Geld. Genauer: Geld und Designerkleidung. Und dass dieses Video, diese Karriere und dieser Mensch so existieren, ist ein kleines Wunder.
Laut Daily Telegraph haben Ärzte das Geschlecht von Kim Petras in einem so jungen Alter wie bei keiner anderen Transsexuellen geändert. Als Kleinkind ist ihr Name noch Tim. Schon zu der Zeit weiß sie aber: Sie ist ein Mädchen. Mit vier will sie sich „das Ding“ abschneiden. Die Eltern suchen Hilfe bei Ärzten. Es folgen Hormonbehandlungen, Fernseh-Reportagen. Das internationale Publikum entdeckt Kim. Heute lebt sie in Los Angeles.
Im letzten Juni publiziert Petras ihr erstes Album, Clarity. Sie ist auf dem Cover der Zeitschriften Galore und Notion, arbeitet mit der Sängerin Charlie XCX zusammen. Im Oktober folgt ihr zweites Album, Turn Off the Light.
Ihre Songs sind typisch für Chartpop im Jahr 2020. Sie sind als Hits und zum Tanzen gemacht, plüschig, elektrisch, eklektisch. Petras schreibt über „Jungs, Herzschmerz, Sex, Spaß haben und die Dinge, die ich durchmache“. In den USA sind ihre Konzerte ausverkauft. Warum ist sie in Deutschland noch wenig bekannt? Vielleicht weil so internationale Musik in der deutschen Popmusikbranche immer noch selten ist.
Ich wollte eigentlich nur anderen Kindern helfen und zeigen, dass man ein normales Leben haben kann.
Beim Treffen in Berlin ist die Sängerin fröhlich. Ein Fotograf fotografiert sie in einer Hotellobby. Sie riecht nach Haarspray und Tom Ford Tobacco Vanille. Petras sagt allen Hallo, Assistenten, Journalisten oder auch Hotelgästen. Es ist eine Überraschung: Sie ist ziemlich normal. Eine herzliche Frau. Wie es ihr jetzt geht, wenn sie sich in Filmen von früher sieht?
„Ich bin stolz darauf, dass ich das gemacht habe. Ich hatte Glück, dass meine Eltern mich unterstützt haben. Es gibt ganz viele obdachlose Transgenderleute. Und die Selbstmordrate ist superhoch. Ich wollte eigentlich nur anderen Kindern helfen und zeigen, dass man ein normales Leben haben kann.“ Deshalb ist sie darauf „sehr, sehr stolz.“ Aber es war auch ein Problem, „weil dann niemand über meine Musik reden wollte“.
Es ist ein Dilemma: Petras will etwas für Transsexuelle tun. Aber soll sie darüber sprechen? Wenn sie das tut, fragen Journalisten sie nur noch nach diesem Thema. Wenn nicht, ärgern sich andere Transsexuelle über sie.
Mainstreampop und transsexuell sein – das hat vor ihr noch niemand kombiniert, glaubt Petras. „Klar, es gab beim Eurovision Song Contest ein paar Leute. Aber ich habe ganz viele Sachen, die ich herausfinden muss und für die es keine Vorlage gibt.“
„Ich habe am Anfang meiner Karriere immer Personae erstellt. Wie ich wollte, dass mein Leben ist. ‚I Don’t Want It At All‘ ist über Designersachen, darüber, alles zu bekommen, was ich will. Ich habe den Song auf einem Futon mit fünf anderen Mitbewohnern in einer superkleinen Bude in L. A. geschrieben. Ich habe mir eigentlich so einen Superhelden-Charakter aufgebaut – und jetzt mit meinen neuen Sachen drehe ich das um und mache eher wieder Musik, die komplett nur ich bin – für mich und für meine Fans.“
Den Schrein für Paris Hilton hat es in Kims Kinderzimmer wirklich gegeben – oder wenigstens Wände für Paris Hilton und Britney Spears. Aber sie ist nicht dabei geblieben, zu ihren Göttern zu beten. Kim Petras ist dabei, der erste transsexuelle Weltstar zu werden. Wie sie in „Death By Sex“ singt: „You’ll be missin’ me / In the afterlife.“ Nicht nur da.
Quelle: Deutsch Perfekt